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Artikel aus der Neuen Westfaelischen (Zeitung?) vom 22.1.2000.
Submitted durch Walter Hecker von seinem Corpsbruder Ballueder.


Auf Mensur!

Die Suche nach einer starken Gemeinschaft treibt sie: Von den rund 1,8 Millionen Studenten sind 22.000 Mitglied einer Studentenverbindung. Das Klischee der rechtsradikalen Dumpfbacken koennen sie entkraeften.

VON GUNTER HELD

Hoch bitte! " Los!" Scheppernd kracht Klinge auf Klinge. Rasend schnell hat jeder der Fechter vier Hiebe geschlagen. Mit einem lauten "Halt!" fallen die beiden dick vermummten Sekundanten ein, stellen sich schuetzend vor "ihren Mann". Die Kontrahenten sind Studenten. Jeder gehoert einem Corps an.

Warum stellen sich die beiden jungen Maenner da hin? Was wollen sie sich beweisen? Beweisen wolle man sich gar nichts, sagt Christian Flader vom Corps Baltica-Borussia Danzig zu Bielefeld. Die Mensur, wie das studentische Fechten genannt wird, sei die Eintrittskarte in die Verbindung. Einmal Corpsstudent, immer Corpsstudent, heiszt ein gefluegeltes Wort. "Natuerlich kann jeder auch wieder austreten", sagt Christian Flader. "Die Mensur ist ein klares Auswahlkriterium. Damit wollen wir verhindern, dass hier jemand Mitglied wird, alle Vorteile genieszt und nach dem Studium sagt: ,Es war eine schoene Zeit, aber jetzt, wo ich zahlen soll, trete ich lieber aus."

Die Extremsituation einer Mensur, vor der jeder Angst hat, und in der sich jeder selbst ?berwinden muss, erzeugt ein starkes Gemeinschaftsgefuehl. Flader geht noch ein Stueck weiter:
"Fechten ist doof!", sagt er. "Aber ich habs gemacht." Vor einer Mensur hat jeder mit der Angst zu kaempfen Viele Studentenverbindungen sind dem Prinzip der Freundschaft auf Lebenszeit verpflichtet. Aber natuerlich sei man nicht mit jedem Corpsbruder, wie die Mitglieder der Corps sich untereinander bezeichnen, innigst befreundet. Nicht einmal sympathisch sei einem Jeder im Corps. Das waere ja weltfremd, meint Christian Flader. Dennoch stelle das Corps ein starkes Netzwerk dar, auf das sich jedes Mitglied stuetzen koenne. Egal ob Studienanfaenger oder Alter Herr. Und die Mensuren, die sie schlagen, fechten sie nicht gegen einen anderen Corpsstudenten, sondern "mit ihm", erklaert Robert Schliewin.

Bei einer Mensur gibt es weder Sieger noch Verlierer. Der 22 Jahre alte Jurastudent ist in diesem Semester Senior des Corps Baltica-Borussia Danzig zu Bielefeld. Um die beiden Paukanten, wie die Kontrahenten im Jargon der Verbindungsstudenten heiszen, haben sich etwa 50 Spektanten versammelt. Im Raum herrscht angespannte Stille, nachdem der Unparteiische vor Beginn der Mensur zum "Silentium", zur Ruhe, aufgefordert hat. Die Klingen der Mensurschlaeger sind scharf wie Rasiermesser Die Luft im Saal des Verbindungshauses ist zum Schneiden dick. Eine Mischung aus kalten Tabakqualm, Schweisz und Desinfektionsmittel. Die Degen, die Mensurschlaeger heiszen, sind 80 Zentimeter lang, im ersten Drittel auf beiden Seiten scharf wie ein Rasiermesser. Ist das Fechten noch zeitgemaesz Sind Verbindungen noch zeitgemaesz?

"Verbindungen legen Wert auf Tradition, erstarren aber nicht im Traditionalismus", ist Gerhard Daniel, Vorsitzender des Verbandes Alter Corpsstudenten, ueberzeugt. "Wir trauern nicht alten Zeiten hinterher, sondern stellen uns den Herausforderungen der Zukunft." Was sich wie Parolen aus einer Werbebroschuere anhoert, wird jedoch mit Inhalt gefaellt. Da gibt es das "Kuratorium Weinheimer Seminare", eine Art Akademie fuer Fuehrungsnachwuchs, in der Studenten Studium uebergreifende Kompetenz erwerben koennen. Und demnaechst soll an drei Universitaeten, in Kiel, in Bayreuth und in Halle Corps-Akademien eingerichtet werden. Die sollen allen Studierenden offen stehen und ebenfalls die Moeglichkeit bieten, sich ueber zertifizierte Seminare Zusatzqualifikationen zu erwerben. Gedacht ist beispielsweise an Betriebswirtschaft fuer Mediziner.

40 Gaenge zu je vier hohen Hieben werden in dieser Partie gefochten. 40 Mal hoeren die Paukanten das Kommando ihrer Sekundanten: "Hoch bitte! - Los!" 160 Mal  setzen sie sich dem Risiko aus, getroffen zu werden. Dann flieszt Blut. Allerdeings nur oberhalb der Paukbrille, die fest um den Kopf geschnuert ist, um Augen und Nase zu schuetzen. Einen Zieher, den Schmiss auf der Wange, der auf jeder Karikatur von Verbindungsstudenten zu sehen ist, koennen die Paukanten nicht kassieren. Denn sie fechten eine hohe Partie, keine tiefe. Sind Verbindungsstudenten saufende, rechtsradikale Dumpfbacken? "Leider gibt es in manchen Verbindungen rechtsradikale Tendenzen", sagt Gerhard Daniel. "Aber Verbindung ist nicht gleich Verbindung."

Es gibt Corps, Burschenschaften, Turnerschaften, Saengerschaften, Landsmannschaften, selbst Akademische Rudervereine gelten als Studentenverbindung. Uebrigens ist bei den wenigsten das Fechten eine Pflichtuebung. Bei der politischen Ausrichtung ist es so, dass die Corps traditionell als Institution politisch nicht in Erscheinung treten. Es herrscht das Toleranzprinzip, was sich auf alle Bereiche erstreckt. Sei es nun Politik, Religion, Herkunft oder Hautfarbe. So waren zum Beispiel Karl Marx und Wilhelm Liebknecht, Mitbegruender der SPD, ebenso Corpsstudenten wie Otto von Bismarck, der Widerstandskaempfer Graf von der Schulenburg und Robert Schumann. Die einzelnen Corpsburschen allerdings sollen sich durchaus politisch engagieren. Das Spektrum reicht dabei von links bis konservativ.

Anders sieht es bei den Burschenschaften aus. Bei der deutschen Revolution 1848 waren sie "die Linken", die die progressive Stroemung vertraten. Doch schon bald verkehrte sich die Progressivitaet ins Gegenteil: Die Nationaltuemelei gewann die Oberhand. Daniel: "Heute vertreten einige Burschenschaften rechtsextreme Positionen, die niemand gut heiszen kann. Doch es gibt auch gemaeszigte Verbindungen, die sich von diesen Positionen abgewandt haben und 1993 sogar einen eigenen Dachverband, die Neuen Deutschen Burschaften gegruendet haben."

Mit dem Trinken ist es in Studentenverbindungen nicht anders, als in Sportvereinen. Holger Sieg vom Corps Baltica-Borussia: "Wer Alkohol trinken moechte, hat dazu natuerlich Gelegenheit. Aber das ritualisierte Trinken hat bei uns gar keinen Stellenwert mehr." Diese Tendenz bestaetigt auch Gerhard Daniel: "Als ich in den 60er Jahren aktiv im Verbindungsleben mitgemischt habe, gehoerte das Bier einfach dazu. Das war nun mal so. Heute gibt es immer mehr junge Menschen, die zwar in die Verbindung wollen, aber keinen Alkohol trinken moechten. Probleme deswegen gibt es nicht."

Die beiden Paukanten stehen sich im Abstand von etwa 80 Zentimetern gegenueber. Die Beine etwas gespreizt, die Fuszspitzen einwaerts gedreht - fuer einen festeren Stand. Mit starren Gesichtern sehen sie sich an. Keiner kann die Augen seines Gegenuebers erkennen, die hinter dem dicken schwarzen Drahtgeflecht der Paukbrille verborgen sind. Die Testanten, die gerade noch die Klinge desinfiziert haben, stuetzen den Fechtarm ihres Corpsbruders, lockern dessen Handgelenk. Als das Kommando ertoent, strecken die Paukanten den Schlaeger in die Hoehe. Auf Mensur! Beim Kommando "Los!" ducken sich die Sekundanten, um die herabsausende Klinge nicht zu behindern.

Sind Frauen in den Studentenverbindungen nur schmueckendes Beiwerk? "Absolut nicht", sind sich die Mitglieder des Corps Baltica-Borussia wie auch Gerhard Daniel vom Verband Alter Corpsstudenten sofort einig. Daniel sagt: "Wenn man die Damen nicht integriert, kann die Verbindung bald zumachen. Doch es bleibt Fakt: Frauen koennen den meisten Verbindungen nicht beitreten. "Richtig", sagt Holger Sieg. "Es gibt bestimmte Bereiche, da wollen wir unter uns sein. Darin sehe ich aber keine Benachteiligung der Frauen. Genau so gut koennte man fragen: Warum nehmen wir keine Handwerkslehrlinge auf oder Studenten, die in anderen Staedten studieren? Die Frauen   haben sich damit lange arrangiert. Bereits kurz nachdem zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts Frauen an Universitaeten zugelassen wurden, gruendeten sie Damenverbindungen. Nach dem allgemeinen Verbot von Studentenverbindungen waehrend der Nazi-Diktatur fassten sie erst Anfang der 80er Jahre wieder Fusz.

Als  feministische Speerspitze in der von Maennern dominierten Verbindungswelt sehen sie sich allerdings nicht. "Wir sind selbstbewusst, emanzipiert und verstehen uns als Teil der Korporiertenwelt", sagt Anna-Katharina Bexten von der Damenverbindung Helenia Monasteria in Muenster, einer von 18 Damenverbindungen in Deutschland.Trotzdem schwingt natuerlich ein gewisser Feminismus mit. Auch die Damen tragen Muetze und Burschenband Verbindungsstudentischen Idealen wie der Freundschaft auf Lebenszeit fuehlen sich auch die Mitglieder der Helenia Monasteria verpflichtet, tragen Muetze und Band in den Farben silber-gruen-gold. Auszerdem faende sie es interessant zu beobachten, wie sich eine Gruppe von Frauen untereinander verhaelt, sagt die junge Studentin. "Und da ist es schwieriger, Frauen zusammenzuhalten, als einen Haufen junger Maenner." "Warum?" "Na, waehlen Sie mal drei Farben aus."

"Halt!" Zum letzten Mal fallen die Sekundanten den Paukanten in die Arme. Die Partie ist vorbei. Die Sekundanten nehmen ihren Helm ab, kommandieren noch einmal: "Hoch bitte zum Ehrengang!". Um der Gegenseite Achtung zu erweisen, werden noch einmal alle vier Waffen, Sekundanten- und Mensurschlaeger in der Luft gegeneinander geschlagen. Dann heiszt es: "Danke fuer gehabte Partie." Die Anspannung der Paukanten entlaedt sich in einem breiten Grinsen. Alles ist gut gegangen. Die beiden Mediziner, die Paukaerzte, haben nichts zu tun gehabt. Die Paukbrille wird abgeschnallt, knallrot sind die Striemen zu sehen, die die Lederbaender hinterlassen haben. Schon kommen die anderen Verbindungsstudenten zum Gratulieren. Spaeter werden die Paukanten ein Bier zusammen trinken.

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